Hier wird Deftiges – und auch Untergriffiges – serviert: In Begleitung von Oberösterreich-Statthalter Haimbuchner zelebrierte Kickl sein erstes Bad in der Rieder Menge als Frontmann der FPÖ.

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Am Gehsteig dominieren Lederhosen, Trachtenjoppen und karierte Hemden: Die Jahnturnhalle zu Ried hat noch gar nicht die Pforten geöffnet, da haben sich von beiden Seiten lange Schlangen angestaut. Aus allen Ecken Oberösterreichs ist das in der großen Mehrheit männliche Parteivolk herbeigeströmt, manche kommen auch von weiter her. Sogar zwei Vorarlberger, berichten die Gastgeber, wollten sich das Event nicht entgehen lassen.

"Aus manchen Orten sind sie mit 50er-Bussen angereist", erzählt eine mit Dirndl adjustierte Frau, die sich auf eine der Bierbänke in der schon eineinhalb Stunden vor Programmbeginn auf Sommerschwüle aufgeheizten Halle gequetscht hat: "Das Flair ist eben einzigartig." Oder, in den Worten eines anderen Besuchers: "Hier wird Deftiges serviert."

Kein "Blattl vor dem Mund"

Das gilt in mehrerlei Hinsicht. Zugeständnisse an die angebrochene Fastenzeit halten sich in Grenzen. Weißwurst und Speck sind zwar tabu, doch für Fischaufstriche, Rollmops und Salzbrezn ist gesorgt. Bier zum Runterspülen darf natürlich auch nicht fehlen – und statt Buße zu tun, wie es die kirchlichen Gebote vorschreiben, werden die Stargäste auf der Bühne ordentlich austeilen. An diesem Abend, verheißt die Moderatorin, die das Publikum zwischen den Einlagen der Blaskapelle einpeitscht, "nimmt sich niemand ein Blattl vor den Mund".

Heringsschmaus stärkt das angereiste Parteivolk.
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Warum soll sich eine Partei mit deutschnationalen Wurzeln auch an katholische Bräuche halten? Die FPÖ ist stolz auf ihre eigene Tradition, die sie seit 1992 mit nur zwei der Corona-Pandemie geschuldeten Unterbrechungen in ihrer Hochburg im Westen Oberösterreichs auslebt: Nach Vorbild der bayerischen CSU im nahen Passau laden die blauen Vertreter aus Ried im Innkreis am Tag eins nach Faschingsende zum "politischen Aschermittwoch".

Von Haider zu Kickl

So manches, was die Wortführer vor johlender Menge abladen, sorgt für Aufsehen über die Bezirksgrenzen hinaus. Jörg Haider etwa setzte sich hier einmal mehr dem Vorwurf des Antisemitismus aus. "Ich verstehe überhaupt nicht", sprach der mittlerweile verstorbene Ex-FPÖ-Frontmann 2001 über Ariel Muzicant, den damaligen Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, "wie einer, der Ariel heißt, so viel Dreck am Stecken haben kann."

Diesmal tritt einer vor die Anhänger, der den einstigen Chefs für derartige Auftritte Gags geschrieben hat. An Zugkraft stehe Herbert Kickl den Vorgängern kein bisschen nach, versichert Bezirksfunktionär Erhard Weinzinger, Organisator seit der ersten Stunde. Das G’riss um die begrenzte Zahl der Tickets sei trotz Unkostenbeitrags von 15 Euro so groß gewesen "wie in den besten Zeiten von Haider und Strache".

Auch manch anderes kommt routinierten Besuchern freiheitlicher Massenveranstaltungen wohlbekannt vor. Fahnenschwenker, schwirrende Spots und ein Rhythmus zum Mitpaschen begleiten Kickl und den oberösterreichischen Vizelandeshauptmann Manfred Haimbuchner beim Einmarsch durch die rotköpfige Menge. Nicht fehlen darf zur Abrundung die süffisante Begrüßung der Medienvertreter. Der vorab gezollte Dank "für die objektive Berichterstattung" löst verlässlich höhnisches Gelächter aus.

Unbesorgt über Ballone zeigte sich der oberösterreichische FPÖ-Chef Manfred Haimbuchner.
Foto: imago / Daniel Scharinger

"Wiener Großstadtgehabe"

Haimbuchner belässt es nicht mehr bei Anspielungen, nachdem er die "politisch unkorrekte Aschermittwochsgemeinschaft" begrüßt hat. Den "regierungstreuen, steuergeldfinanzierten so genannten Qualitätsmedien", prophezeit der Landesparteichef, werde es an diesem Abend den Magen verdrehen.

Von der "rot-links-grünen Umerziehungsanstalt ORF" hantelt sich Haimbuchner über den "schwarz-grünen Faschingsverein" und das "Wiener Großstadtgehabe" weiter zur "korrupten Brüsseler Partie, die durchforstet gehört wie ein Wald, der von Borkenkäfern befallen ist". Schließlich landet er bei jenen, für die im Land keine Gesetze gelten würden. Haimbuchner setzt zu einer Auflistung an: "2017 ermordete ein Tunesier eine alte Frau..." – und so weiter. Das sei nur eine kleine Auswahl, fügt er an.

Auch Hauptredner Kickl widmet sein "letztes Wort" der – wie er sagt – "Völkerwanderung". Wie komme "ein afghanischer Analphabet vom Hindukusch" ausgerechnet nach Österreich? Das sei nur dank "gutmenschlich degenerierter" Helfer möglich.

Davor weitet der Oberblaue den vom Vorredner skizzierten Feindeskreis erheblich aus. Eingemeindet werden etwa die "Virologen und Politologen", die sich zu Handlangern der "Coronaverbrecher" in der Regierung gemacht hätten.

Reimender Obmann

Es habe geheißen, die Pandemie bleibe und die FPÖ gehe, sagt Kickl, gekommen sei es umgekehrt: "Ein Prost auf das Expertenheer, denn glauben tut euch niemand mehr."

Den "Klima-Kommunismus" schließt der Redner da natürlich mit ein. Früher habe der Doktor gratuliert, wenn man einen Furz gelassen habe, erklärt er, heute müsse man fürchten, als Umweltsünder gebrandmarkt zu werden. Wenn Ministerin Leonore Gewessler schon so klimabewusst tue, dann solle sie passenderweise auf einem Besen reiten; er freue sich jedenfalls schon darauf, zum Ausklang des Abends seinen Audi-Turbodiesel mit 300 PS aufheulen zu lassen.

Kickl gibt Stimmung und Takt vor.
Foto: APA / Manfred Fesl

Dass mit den "Trotteln" in der Regierung angefangen die gesamte politische Konkurrenz drankommt, versteht sich von selbst, das beginnt beim Lieblingsziel Kickl’scher Untergriffe. Dass der Bundespräsident, "diese Mumie in der Hofburg", senil sei, habe man schon vorher gewusst. Doch nun habe dieser "größte Staats- und Demokratiegefährder" vergessen, dass Österreich ein neutrales Land sei. Konsequenz müsse die Amtsenthebung sein.

Ein Erklärungsmodell für all die Bösartigkeit außerhalb der Jahnturnhalle bietet Kickl ebenfalls an. Die "selbsternannten Eliten" versuchten die Menschen aus ihren Traditionen zu entwurzeln, denn nur dann könnten sie mit dem Volk aufführen, was sie wollen. Die FPÖ sei "das letzte Bollwerk der Normalität", das sich noch entgegenstemme: Er kämpfe dafür, "dass die armen Teufeln nicht jeden Tag von noch mehr Sorgen erschlagen werden".

"Lügenpresse" und Fotos

Als die letzten Sätze gefallen sind, reißt es die 2.000 in der Halle von den Bänken. Noch eine Stunde nach Ende der Rede stellen sich Fans um Fotos mit den beiden Frontmännern an. Als die Videowall den Bericht der ORF-"ZiB 2" über den Auftritt zeigt, ergötzt sich der Saal noch einmal an den Kalauern seines Helden. Die Abmoderation wird von "Lügenpresse"-Rufen übertönt.

Es lässt sich nicht behaupten, dass sich der Zuspruch nur auf die Funktionärsriege beschränkt. Beeindruckend oder – je nach Gusto – erschreckend rasch hat sich die FPÖ von ihrer keine vier Jahre zurückliegenden Ibiza-Katastrophe erholt. Bei der Wiener Landtagswahl 2020 bekamen die Blauen mit einem Absturz von fast 24 auf sieben Prozent noch eine bittere Rechnung präsentiert – doch beim Urnengang in Niederösterreich Ende Jänner dieses Jahres landeten sie schon wieder beim Wiener Wert von einst. In den bundesweiten Umfragen rangiert die FPÖ mit 27 bis 29 Prozent in der Poleposition.

In der Euphorie des Abends ist das manchem längst zu wenig, Gäste glauben an mehr. 30 bis 40 Prozent seien eine angemessene Mehrheit, um Kickl ins Kanzleramt zu hieven, tönt ein Besucher, denn die Chancen stünden bestens: "Die Leute lassen sich eben nicht alles gefallen." Ob sich die FPÖ wie bei den letzten beiden Regierungsversuchen dann nicht wieder selbst ins Aus zu schießen drohe? Er wisse gar nicht, wovon da die Rede ist, kommt es als Antwort retour: "Ibiza – was ist das?" (Gerald John, 22.2.2023)